Heinrich Meng zum Gedächtnis von Prof. Dr. Gerd Biermann, Mitbegründer und erster Leiter (1970-1978) des Heinrich-Meng-Instituts des Erftkreises (Institut für Psychohygiene), Brühl/Rheinl. Am 10. August 1972, einen Monat nach Vollendung des 85. Lebensjahres, ist Heinrich Meng in Basel verstorben. Mit ihm ist einer der letzten großen Zeugen der Psychoanalyse und Begründer der europäischen Bewegung der Psychohygiene von uns gegangen. Wer je das Glück hatte, ihm zu begegnen - wie er selber bekenntnishaft seine vor Jahresfrist erschienenen Erinnerungen, sein "Leben als Begegnung" empfand -, der konnte sich dem Zauber dieser weltoffenen, gütigen, noch bis ins hohe Alter allen Problemen des Menschlichen zugewandten Persönlichkeit nicht entziehen. Die Daten seines Lebens umfassen einen Abschnitt unserer Weltgeschichte und lassen gleichzeitig erkennen, daß Meng sich niemals einem engeren Fachbereich verschrieben hatte, sondern nur in der ständigen Konfrontation mit den Alltagssorgen des Menschen seine Aufgabe sah. In einem kleinen nordbadischen Dorf, in der Nähe von Straßburg, in ländlichen Verhältnissen aufgewachsen, erfuhr er schon früh Bedrohung durch Krankheit: er überlebte von wenigen Kindern seines Dorfes nach langem Krankenlager eine Epidemie. Seine spätere Hinwendung zum kranken Menschen, insbesondere Kindern, mag durch dieses prägende frühkindliche Erlebnis beeinflußt sein. In der Reifungskrise der Jugendjahre verließ er zunächst mit dem Einjährigen die Schule und wandte sich dem Geigenbau zu. Fast 2 Jahre arbeitete er als Lehrling in der Werkstatt eines Onkels. So sehr diese Ausbildung seinen musischen Neigungen entgegenkam, die ihn zeitlebens erfüllten, so vermißte er hier doch den Kontakt mit dem Lebendigen; er kehrte mit dem Beschluss, Arzt zu werden, zur Schule zurück. Mit Interesse wandte er sich in der Oberstufe philosophischen Fragestellungen zu und entwickelte einen wachen Sinn für soziale Probleme. Seine Führerpersönlichkeit wurde von den Gleichaltrigen neidlos anerkannt. Das Medizinstudium begann Meng in Freiburg, die klinischen Semester hatte er in Leipzig, Würzburg und Heidelberg. In der poliklinischen Betreuung unbemittelter Patienten kamen seine caritativen Wesenszüge zum Durchbruch, Grundhaltung der von ihm später entwickelten Vorstellungen der Psychohygiene. Drei Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges schloß Meng sein Medizinstudium ab und wandte sich in seiner klinischen Ausbildung zunächst der Piychiatrie zu. Eine frühe bedeutende Arbeit über die Trunksucht war das Ergebnis dieser ersten Begegnung mit dem kranken Menschen. Dabei war es charakteristisch für die Konsequenz eines Mannes wie Heinrich Meng, daß er sich gleiehzeitig offen zur Alkoholabstinenz bekannte. Die Erlebnisse einer vierjährigen Tätigkeit als Feldarzt im ersten Weltkrieg vertieften seine pazifistische Grundhaltung, aus der er auch in späteren Jahren im offenen Bekenntnis nie einen Hehl machte. 1919 ging Meng nach Wien, zu Sigmund Freud, der ihn voraussehend als eine der hoffnungsvollen Begabungen der Psychoanalyse erkannte. Auf seinen Ratschlag hin nahm sich Meng einen seiner engsten Mitarbeiter, Paul Federn, zum Lehrer. Es entwickelte sich zwischen dem Alteren und Jüngeren eine tiefe Freundschaft, die ihren schöpferischen Niederschlag in zahlreichen wissenschaftlichen Werken, insbesondere in der Reihe "Bücher des Werdenden" fand, die bis heute zahlreiche Auflagen erlebten. In ihr sind auch bedeutende psychohygienische Arbeiten erschienen. Allen menschlichen Problemen aufgeschlossen und niemals auf ein enges Spezialgebiet eingeengt." Wer nur Spezialist ist, ist kein rechter Spezialist", sagte er letzthin einmal. So pflegte er in Wien auch Kontakte zu anderen führenden Vertretern der Psychoanalyse wie Adler und Steckel, und suchte an der damals von Wagner-Jauregg geleiteten psychiatrischen Universitätsklinik seine Kenntnisse zu vervollständigen, Auf Anregung Freuds ging Meng von Wien zunächst an das psychoanalytitische Institut in Berlin, wo er bald einen so bedeutenden Ruf hatte, daß er als Konsiliarius an das Krankenbett führender Persönlichkeiten gerufen wurde. Von einem derartigen Auslandsbesuch rührten fruchtbare Kontakte mit dem russischen Physiologen Pawlow. Doch zog es Heinrich Meng bald wieder zur klinischen Tätigkeit zurück. Seine Aufgeschlossenheit für alle Wissensgebiete, auch innerhalb der Medizin, brachte ihn bald in Kontakte zur Homöopathie, nachdem er schon als junger Mensch Bircher-Brenner kennen und schätzen gelernt hatte. Hieraus resultierte 1925 eine Berufung als Internist und Chefarzt an das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Heinrich Meng war in diesen Jahren maßgeblich an Gründung und Programm des Hippokrates Verlages in Stuttgart beteiligt. Gemeinsam mit Paul Federn und zahlreichen Mitarbeitern gab er das mehrbändige Psychoanalytische Volksbuch heraus, in dem der gelungene Versuch unternommen wurde, Erkenntnisse und Anwendungsmöglichkeiten der Psychoanalyse allgemeinverständfich einer breiten Leserschaft darzubieten. In diese Zeit fiel auch die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Pädagogen Ernst Schneider sowie dem Volksschullehrer und Kinderpsychologen Hans Zulliger, die zur Gründung der "Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik" führte. Die reiche schriftstellerische Tätigkeit dieser Jahre weist auf die Bedeutung hin, die Heinrich Meng in der Verbreitung psychoanalytischen Gedankengutes zugekommen ist. Wenig später ging Meng nach Frankfurt, um dort gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Karl Landauer die Leitung des 1929 gegründeten Instituts für Psychoanalyse zu übernehmen. Es entwickelte sich u. a. eine enge Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialforschung unter Horkheimer. Es war die Zeit, in welche die Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt an Sigmund Freud fiel. Hier schuf Heinrich Meng wesentliche Grundlagen der Psychosornatik, wenn er sich auch nicht namentlich zu ihr bekannte. So verdanken wir Meng den Begriff der Organpsychose für das Krankheitsbild der Magersucht und ähnliche schwere destruktive Leiden. Gleichzeitig trug Meng mit der Gründung von psychoanalytischen Kursen für Ärzte zu deren Spezial-Ausbildung bei, auch hierin ein Pionier für heute allgemein Anerkanntes. Diese Frankfurter Tätigkeit Mengs war in ihrer engen Zusammenarbeit mit allen Nachbardisziplinen eine große Zeit der Verbreitung der Psychoanalyse. Jedem, der Heinrich Meng in seinem weltoffenen, unbedingten Bekenntnis zum Pazifismus kannte, war es klar, daß es für ihn mit dem Einbruch des Nationalsozialismus nur eine klare Entscheidung geben konnte. Das Institut für Psychoanalyse erlebte 1933 seine Auflösung: Während manche der Mitarbeiter nach Amerika gingen, folgte Meng dem Angebot einer Schweizer Erziehungsinstitution nach Basel, um dort auf den Gebieten der Pädagogik und Psychohygiene seine Lehren weiter zu entwickeln. Schon nach vier Jahren erhielt er einen Lehrauftrag der Baseler Universität und 1945 den Ruf auf den eigens für ihn errichteten ersten europäischen Lehrstuhl für Psychohygiene. Hier hat Meng in den Nachkriegsjahren ein Forschungszentrum errichtet, zu dem aus aller Welt Gelehrte pilgerten. Mit großzügiger Unterstützung Schweizer Verlage baute er eine wissenschaftliche Bibliothek der Psychohygiene auf. Gleichzeitig wurden in der Schweiz und in anderen Ländern Gesellschaften für Psychohygiene gegründet, die sich den vielfältigen, vorwiegend praktischen Aufgaben des seelischen Gesundheitsschutzes widmeten. Sie reichen vom Schutz für die werdende Mutter, dem EIternrat in Erziehungsfragen, der Lösung von Berufsproblemen und der Beratung in Lebenskrisen von Ehe und Familie bis zur Hilfe für den alternden Menschen. Die Nöte des Heimwesens, insbesondere bei Kleinkindern, wie die seelische Hilfe für Kinder im Krankenhaus, sind ihr ebenso vertraut wie Probleme des Strafvollzuges, bis zur nachgehenden Gefangenenfürsorge. Mit seiner Prophylaxe des Verbrechens hat Meng hierzu Wegweisendes ausgesagt. In einer Zeit zunehmender Aggressionen im mitmenschlichen Verhalten ist Meng mit seinem Buch "Zwang und Freiheit in der Erziehung" bekenntnishaft für eine gewaltfreie Erziehung eingetreten. So gab es kein Gebiet der Psychohygiene, zu welchern Heinrich Meng nicht in den 20 Jahren seiner Basler Lehrtätigkeit in grundlegenden Ausführungen Stellung genommen hat. Dabei war beeindruckend, wie er sich noch im hohen Alter mit den aktuellen politischen und sozialen Problemen der jungen Generation auseinandersetzte. "Du und der Andere" war der Titel einer Festschrift seiner Freunde zum 80. Geburtstag, und "Leben als Begegnung" nannte Meng selber seinen Erinnerungsband. Für ihn war, nicht nur in psychotherapeutischen Bereichen, der lebendige Kontakt zum Mitmenschen eine notwendige Grundlage schöpferischen Menschseins. In einer Welt, deren Probleme in steigendem Maße als unbewältigt und unlösbar erscheinen, tut es not, sich der klaren Richtlinien zu erinnern, die uns Heinrich-Meng, den man den "Vater der Psychohygiene" genannt hat, durch sein Vorbild und seine Schriften übermittelt hat. Als einer der letzten großen Humanisten, der versucht hat, auch im heutigen Chaos noch das Menschliche zu retten, wird er in die Geschichte der Medizin eingehen. (Aus: Jahrbuch der Psychohygiene, 1.Band, Hrsg. Gerd Biermann, Ernst-Reinhardt 1973) |